Attitude Ära – Das letzte Hurra, bevor die WWF zur WWE wurde

Wie lief die WWE Atittude Ära ab?

Bildquelle: Megan Elice Meadows [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)

Die Geschichte der WWE wird in unterschiedliche „Ären“ unterteilt. Eine Betrachtungsweise, die sich vor allem mit der Attitude Ära, die (je nach Deutung) von 1996 oder 1997 bis 2002 verortet wird, durchgesetzt hat. Die Attitude Ära wird dabei von mehreren Faktoren gekennzeichnet. So war sie, neben der sogenannten „goldenen Ära“ der 80er Jahre um Hulkamania, einer der kommerziell erfolgreichsten Abschnitte der WWE-Geschichte, brachte mehre große Stars hervor und markierte den Siegeszug der WWF in den montäglichen Quotenkriegen mit der WCW. Gemessen allein nach PPV-Verkäufen war die Attitude Ära die kommerziell erfolgreichste Zeit der WWF/WWE.

Überhaupt erfuhr Wrestling um diese Zeit einen ungeahnten Boom. Nachdem das Interesse in den frühen bis mittleren 1990ern verebbt erschien und die WWF sich durch unglückselige Geschäftsentscheidungen und diversen Skandalen in schwierigem Fahrwasser sah, waren sich fast alle Insider einig, dass die Entscheidung der WCW, ebenfalls am Montag eine Hauptshow abzuhalten, die ohnehin geschröpfte Zuschauerzahl für beide Seiten weiter ausdünnen würde. Doch es sollte anders kommen! Es kam zu einem regelrechten Wrestling-Boom, getragen durch den Quotenkrieg zwischen WWF und WCW (Monday Night Wars). Die Attitude Ära war eine direkte Konsequenz daraus und stellte einen radikalen Paradigmenwechsel dar, wie die WWF ihr Produkt präsentierte. Wrestling verlor die Milchzähne und wurde zu einem Stück rauer Jugendkultur. Im Guten wie im Schlechten.

Attitude Ära aus der Not geboren

Geboren wurde die Attitude Ära aus der Notwendigkeit heraus, sich gegenüber der WCW wieder durchzusetzen. Im Zuge erheblicher Investitionen durch den Medienmogul Ted Turner und durch etliche abgewanderte Stars wie Kevin Nash, Scott Hall, Hulk Hogan und den "Macho Man" Randy Savage war die WWF gegenüber der WCW, die bewusst zur selben Sendezeit am Montag ihre Hauptshow ausstrahlte, um mit Monday Night RAW zu konkurrieren, erheblich ins Hintertreffen geraten. Zugespitzt wurde diese Situation durch den kolossalen sowie kostspieligen Flop der WBF (World Body Building Federation) sowie den Steroidskandal in der WWF.

Als große Wende auf Seiten der WCW galt dabei die Geburt der NWO. Diese vereinte einige der größten Wrestling-Stars jener Zeit (vor allem Kevin Nash, Scott Hall und Hulk Hogan) in einem Heel Stable, wobei vor allem der Heelturn des ewigen Babyfaces Hulk Hogan als entscheidender Meilenstein galt. Die WCW enteilte auf Monate der WWF in den Quoten und wurde somit tatsächlich zum Marktführer in Sachen Wrestling. Die WWF sah sich gezwungen, etwas zu ändern und neue Wege zu gehen. Als Herold dieser Notwendigkeit zur Veränderung gilt heute Vince Russo, der als absoluter Quereinsteiger Teil des WWF Booking Teams wurde – und bis heute extrem umstritten ist.

Vince Russo – Innovator oder Hochstapler?

Ursprünglich hatte Vince Russo, der zwei Videotheken in New York betrieb, Artikel für das WWF-Magazin verfasst. 1996 wurde er dann, als absoluter Außenseiter, unverhofft ins Kreativ-Team der WWF beordert. Vince McMahon suchte händeringend nach frischen Ideen und Konzepten, denn seit 83 Wochen in Serie wurde die WWF von der WCW in den Quoten überschattet! Folglich wurde Vince Russo zu einer Art persönlichem Berater von Vince McMahon. Er überzeugte ihn davon, das eigene Produkt derber, unvorhersehbarer und provokanter zu gestalten. Die Matches wurden kürzer und Backstage- sowie Promo-Segmente nahmen zu.

Dabei gab es zum Teil Storylines von extrem fragwürdigem Inhalt. Provozieren und auffallen um jeden Preis war die Devise. Es wurde geflucht und die Matches wurde zum Teil um sogenannte Hardcore-Elemente erweitert. Stuhlschläge zum Kopf und Stürze von Leitern sollten nach und nach zum guten Ton gehören, wobei sich die WWF dabei unübersehbar von der kleinen Indy-Kult Attraktion namens ECW (Extreme Championship Wrestling) inspirieren ließ. Auch die WCW implementierte Hardcore-Matches und einen zugehörigen Titel.

 

 

Die Losung ging auf! Inspiriert vom Crash-TV der ausgehenden 1990er und frühen 2000er (das ja auch solche Perlen wie South Park, Jerry Springer oder Jackass hervorbrachte) wurde das WWF-Produkt jener Zeit konsequent auf ein jugendliches Publikum ausgerichtet. Wrestling war wieder cool! Doch wie groß Vince Russos Anteil daran wirklich war, wird eingedenk seiner fruchtlosen Runs in der WCW sowie später bei TNA heute weitgehend hinterfragt. Mittlerweile gilt Vince Russo eher als wichtiger Impulsgeber für das damalige WWF-Booking, der aber von der Leine gelassen (als eigentlicher Booker in Eigenregie und abseits der WWF/WWE) überall grandios gescheitert ist.

Vince McMahon – Don‘t cross the boss!

Ein extrem wichtiger Bestandteil der Attitude Ära war der Bösewicht Vince McMahon. Erstmals trat dieser als Besitzer der WWF ins Rampenlicht und wurde abseits des Kommentatorenpults zu einem der größten Antagonisten der WWE Geschichte. Das Ganze extrem wirksam, weil er mit „Stone Cold“ Steve Austin den perfekten Widerpart hatte und weil seine Geburtsstunde als oberster Heel der WWF auf einem authentischen Fundament fußte: Dem Montreal Screwjob, bei dem Bret „Hitman“ Hart in einem wirklich abgekarteten Match um seinen WWF-Titel betrogen wurde, damit er nicht als amtierender Champion zur WCW wechseln konnte! Dabei veranlasste Vince McMahon höchstselbst am WWE Ring, dass die Glocke geläutet wurde, als Bret Hart in seinem eigenen Aufgabemanöver (ausgerechnet von seinem tatsächlichen Intimfeind, Shawn Michaels) gefangen war.

 

 

Überhaupt wird die Rolle von Bret „Hitman“ Hart als unfreiwilligem Geburtshelfer der WWF Attitude Ära gerne vergessen. Denn dessen überaus echter Zwist mit Shawn Michaels und später mit Vince McMahon sowie dessen brillant gebuchte Fehde mit „Stone Cold“ Steve Austin waren entscheidend für die Weichenstellung für alles, was folgen sollte. In gewisser Weise war Bret Hart der Amboss, auf dem sowohl „Stone Cold“ Steve Austin sowie Vince McMahon geschmiedet wurden. Und die Fehde zwischen eben diesen beiden sollte zur zentralen Säule der Attitude Ära werden.

Die Stars der Attitude Ära

Die Attitude Ära brachte einige der größten und auch im Nachgang beliebtesten Stars der WWE-Geschichte hervor. Allem voran „Stone Cold“ Steve Austin und Dwayne „The Rock“ Johnson. Aber auch andere Charaktere, wie Mick Foley (alias Mankind) oder Goldust wurden zu Symbolen und Profiteuren eines radikal veränderten WWF-Produkts. Und Tag Teams, wie Christian und Edge, die Hardy Boyz, die New Age Outlaws sowie die Dudleyz wurden zu den Akteuren einer wieder erstarkten Tag Team Division.

“Stone Cold“ Steve Austin verkörperte dabei den gefeierten Antihelden, der sich gegenüber seinem herrschsüchtigen Boss als wilder Prügler nichts gefallen ließ. „The Rock“ war die Rampensau, dessen Promo-Segmente rasch Kult-Status erreichten. Mick Foley wurde zur Symbolfigur dessen, was Hardcore-Wrestling ausmachte und zeigte dabei Opferbereitschaft wie kaum ein anderer, war aber auch selbst ein starker Redner und Charakter. Vince McMahon war der ultimative Bösewicht und Triple H dessen verhasster Kronprinz.

 

 

Die WWF produzierte neue Stars, während sich die zunehmen überrumpelte und von eigener Inkompetenz ausgebremste WCW zu lange an die Stars von gestern klammerte. Unter anderem, weil eben diesen Stars kreative Freiheiten eingeräumt wurden, ihren eigenen Status zu beschützen. Zum Nachteil der Promotion. Als dann um die Jahrtausendwende mehr und mehr etablierte, talentierte und vor allem frustrierte WCW-Midcarder zur WWF abwanderten, war der Sieg der WWF absehbar.

Die Attitude Ära in der Nachbetrachtung

Die Attitude Ära war in vielerlei Hinsicht ein Kind ihrer Zeit und damals ein notwendiger Schritt, um das eigene angestaubte Image zu verändern. Ferner brachte sie den wohl stärksten WWE Main Event hervor. Stars wie „The Rock“, „Stone Cold“ Steve Austin, Mankind, der Undertaker, Triple H, Kane und Chris Jericho bevölkerten phasenweise kollektiv den WWF Main Event und eröffneten attraktives Match-Making in jener Zeit. Dazu eine aufstrebende Midcard, gespickt mit vielen weiteren WCW-Abgängern (wie eben Chris Jericho), von denen einige selbst in den Main Event vorstoßen sollten. Das Ganze gipfelte in WrestleMania 17, dem offiziellen Ende der Attitude Ära und eine der besten WrestleManias aller Zeiten!

Jedoch wird die Attitude Ära auch gerne verklärt. Denn gerade in der Undercard sowie im Frauen Wrestling (oder dem, was die WWF damals für solches hielt) wurde sehr viel geschmackloser Unsinn geboten. Und viele der Versatzstücke, an denen sich etliche Wrestling-Fans bis heute stören (zu lange Hauptshows, niemals endende Promo-Segmente, kurze Matches, zu viele kontroverse, uneindeutige Match-Enden, gefährliche Manöver) wurden in der Attitude Ära etabliert und gehören quasi seither zum Standard-Repertoire – abgesehen von den Hardcore-Elementen, von denen die WWE seither wieder Abstand nahm.

Dennoch ist die Attitude Ära eine der zwei prägenden Phasen der WWE und somit des Wrestlings insgesamt, die das Geschäft historisch entscheidend beeinflusst hat. Denn gerade, wenn man sich den in vielerlei Hinsicht selbst verschuldeten Niedergang der WCW anschaut, wäre es höchst ungewiss, wie das nordamerikanische Wrestling heute aussehen würde und ob es überhaupt im Mainstream vertreten wäre, wenn die WWF vorher eingeknickt wäre. Doch wir mussten das nie herausfinden: Der Attitude Ära zum Dank!


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