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Edge – Der Rated R-Superstar
Adam Copeland, alias Edge, lebte wohl den Traum eines jeden Wrestling-Fans. Als eben solcher stand er bei WrestleMania VI im Publikum und beschloss nach dem Match zwischen Hulk Hogan und dem Ultimate Warrior selber Wrestler werden zu wollen. Was darauffolgen sollte, war ein nahezu 20 Jahre währender Run, der mit einem glücklichen Gewinnspiel anfing und mit haufenweise Titelgold in der WWE endete.
Edge sollte dabei eine der wohl organischsten und doch konsequentesten Progressionen hinlegen, die man je bei einem Wrestler gesehen hat. Zuerst als ein seine Ära mitgestaltender Tag Team Wrestler, dann als aufsteigender Singles-Wrestler in der Midcard bis hin schließlich zur Dauerpräsenz im WWE Main Event als einer der berüchtigtsten Heels seiner Zeit. Bis schließlich eine ernsthafte Verletzung 2011 unverhofft einen emotionalen Rücktritt erzwang. Doch letzthin ist Edge wieder zurückgekehrt, sodass das Schlusskapitel seiner Karriere noch geschrieben werden muss.
Durch ein Gewinnspiel zum Wrestling-Training
Nachdem Adam Copeland seinen Wunsch hegte, selbst einmal Wrestler zu werden, sollte sich alsbald eine unerwartete Gelegenheit für den jungen Kanadier eröffnen. Denn er gewann ein Gewinnspiel, das ihm kostenloses Wrestling-Training durch die beiden kanadischen Veteranen Sweet Daddy Siki und Ron Hutchison ermöglichte. Allerdings verschob Copeland diese Gelegenheit auf einen späteren Zeitpunkt, um zu Hause seiner alleinerziehenden Mutter (Copeland hatte seinen Vater nie kennengelernt) finanziell unter die Arme zu greifen. Außerdem schloss er ein Studium über Rundfunk ab.
Als er schließlich sein Wrestling-Training in Angriff nahm, fand dieses in einem sehr harten Boxring statt. Von der niedrigen Decke hingen lose Rohre herab, sodass auch an High Flying Manöver nicht zu denken war. Copeland attribuierte später seine Stärken auf der Matte an eben diese Einschränkungen. 1992 debütierte er im Independent-Bereich von Ontario und der Great Lakes Region in den USA. Er wrestelte unter den Namen Sexton Hardcastle und Adam Impact. Als Sexton Hardcastle tat er sich mit seinem Mitschüler Joe E. Legend zusammen (dieser wurde ebenfalls von Siki und Hutchinson) ausgebildet und zusammen formten sie das lokal recht erfolgreiche Tag Team „Sex and Violence“. Manch deutscher Wrestling-Fan mag Joe E. Legend heute als absolute Institution im deutschen Indy-Wrestling kennen, wo er als Main Eventer und Trainer gefeiert wird.
Mit Empfehlung des Hitman zur WWF
Später tat sich Copeland mit Christian Cage (bürgerlicher Name William Reso und ein Kindheitsfreund von Copeland) zusammen, um das Tag Team Hard Impact bzw. The Suicide Blondes zu formen. Auch in Japan fanden die beiden als „The Canadian Rockers“ Arbeit. Eine schicksalhafte Verbindung. Nicht nur, weil sie echte Kindheitsfreunde waren, sondern weil sie auch als Tag Team die WWF-Geschichte prägten und sich dort als Christian und Edge einen großen Namen machen sollten. Doch vorher galt es, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Auf ein Tape, das Copeland der WWF geschickt hatte, kam nie eine Antwort. Doch alsbald sollte sich das Schicksal fügen.
Am 10. Mai 1996 ersetzte Copeland bei einer WWF House Show in Hamilton, Ontario kurzfristig Bob Hollys Gegner. Dies brachte ihm einen mageren, inoffiziellen Deal von 210 US-Dollar pro Woche ein, als er ohne offiziellen Vertrag für den WWF arbeitete. Dafür bezahlte dieses seine ausstehenden College-Schulden: stolze 40.000 US-Dollar! Nach einer Wrestling-Tour im Sommer 1997 folgte Copeland der Aufforderung, nach Calgary zu gehen, wo Bret Hart Wrestler informell trainierte, während er sich von einer Knieoperation erholte. Copeland investierte sein gesamtes Vermögen für den Trip und kam dankenswerter Weise beim Wrestling-Veteranen Johnny Smith unter (dem Storyline Bruder vom "British Bulldog" Davey Boy Smith).
Smith fuhr Copeland auch zum Fitnessstudio und zu Harts Haus, wo er neben Ken Shamrock, Test, Mark Henry und Kurrgan trainierte. Copeland kehrte zu einer weiteren Tour zurück, bevor er zu Hart zurückkehrte und seinen Kumpanen Christian mitbrachte. Nach diesem Trainingslager war Hart von den beiden beeindruckt genug, um für sie in der WWF ein gutes Wort einzulegen. Damit war die Tür zum Marktführer endlich geöffnet!
Edge und Christian schreiben Tag Team Geschichte
In der WWF nahm Copeland den Namen Edge (inspiriert durch eine gleichnamige Radiostation) an. Er und Christian debütierten zunächst unabhängig voneinander und trafen in einem frühen Match gar aufeinander. Edge wurde dabei als stiller Einzelgänger präsentiert, den man mit Hype-Videos aufbaute. Seinen Einmarsch vollzog er dann durch das Publikum, wie man es heute von The Shield kennt. Eine Eigenheit, die er und Christian auch als Tag Team beibehalten sollten.
Es sollte auch gar nicht so lange dauern, bis die beiden wieder zusammenfanden. Dabei wurde Christian laut Storyline als Bruder von Edge präsentiert. Nach und nach schlossen sich beiden dem WWF Vampir Gangrel an, um „The Brood“ zu formen, die dann später Bestandteil der Ministry of Darkness (quasi ein Sekten Stable des Undertakers) wurden, nur um später wieder mit ihnen zu rivalisieren. Doch alsbald sollten Christian und Edge eigene Wege gehen und zu einem der legendären Tag Teams der Attitude Ära und darüber hinaus werden. Eine Entwicklung, die ihre Pfade mit zwei anderen, nicht minder legendären Teams wieder und wieder kreuzte: Die Hardy Boyz und die Dudleyz waren quasi Dauerrivalen in einer Dreierkonstellation, die etliche Match-Klassiker produzierte. Allem voran die legendären Leiter- und TLC-Matches, die wohl zum Besten gehören, was die Hardcore-Ära im Mainstream Bereich hervorbrachte! Edge und Christian glänzten dabei in der Rolle als scharfzüngige Heels.
Singles-Push und weiteres Titelgold in der Midcard
2001 gewann Edge das King of the Ring Turnier. Dies markierte auch den bevorstehenden Split von Christian und Edge als festes Tag Team, da Christian zunehmend die individuellen Erfolge seines Tag Team Partners beneidete. Es kam, wie es kommen musste und es resultierte eine Fehde zwischen den beiden um die Intercontinental Championship. Einen Titel, den Edge bereits nach seinem Debüt schon einmal gehalten hatte, wenn auch nur kurzzeitig. Edge ging aus seiner Fehde gegen Christian als Sieger hervor.
Es folgte ein überaus erfolgreicher Midcard-Run, bei dem Edge Intencontinental Titel und US-Titel zeitgleich halten konnte (er verlor später beide Titel an William Regal), Booker T bei WrestleMania 18 besiegte und weiterhin als Tag Team Spezialist mit anderen Partnern Titelgold holen konnte (unter anderem an der Seite des zurückgekehrten Hulk Hogan). In diese Phase fiel auch der Roster-Split zwischen SmackDown und RAW, bei dem beide Shows ein eigenes Roster zugeteilt bekamen. Edge landete bei SmackDown und konnte in dieser Phase mit anderen technisch starken SmackDown-Wrestlern wie den Guerreros (Eddie und Chavo), Kurt Angle, Chris Benoit und Rey Mysterio etliche klasse Matches produzieren. Insbesondere ein No-DQ-Match gegen Eddie Guerrero sowie ein Tag Team Match zwischen Edge und Rey Mysterio gegen Kurt Angle und Chris Benoit begeisterten die Fans.
Echte Heel-Heat und der erste MitB-Koffer
2003 zwang dann eine Nackenverletzung Edge zu einer über einjährigen Pause. 2004 kehrte er zurück – allerdings als RAW-Wrestler. Dabei präsentierte er sich stilistisch aggressiver und wurde immer mehr zu einem Heel. Er kletterte weiterhin langsam, aber sicher die Matchcard hinauf, blieb in der Tag Team Szene eine Größe und lieferte sich starke Matches gegen andere gute Techniker. Darunter eine Serie mehrerer knapper Unentschieden gegen Chris Benoit. Zu dieser Zeit zeichnete sich schon deutlich ab, dass Edge ein angehender Aspirant für das große WWE-Gold werden würde. Eine weitere Standortbestimmung diesbezüglich war, wie Edge Shawn Michaels beim Royal Rumble 2005 besiegen konnte. Im Royal Rumble Match desselben Abends kam er dann, neben Batista und John Cena, unter die letzten drei.
In dieser Zeit sollte Edge zu einem absolut verhassten Heel werden. Denn es wurde bekannt, dass dieser mit der WWE Wrestlerin Lita zusammenkam. Und zwar hinterm Rücken von Matt Hardy, ihres vorherigen Freundes – und überdies ein Freund von Edge. Matt Hardy machte das damals publik und dieser authentische Hintergrund brachte Edge echte Heat vom Publikum entgegen, was seinen Heel-Turn nur umso weiter befeuerte. Unter einem Chor von Buhrufen gewann er bei WrestleMania das allererste Money in the Bank Leiter Match in der WWE-Geschichte.
Möglicherweise der wichtigste Wendepunkt in Edges Karriere, da die folgenden Fehde gegen Matt Hardy (der eigens wegen des authentischen Zwists wieder von der WWE eingestellt worden war) und sein feiges Einlösen des MitB-Koffers gegen einen blutenden und bereits am Boden zerstörten John Cena zu den definierenden Momenten seines weiteren Runs werden sollten. Fortan sollte Edge nicht nur als der Rated R-Super Star (im Zuge eines nicht-jugendfreien TV-Segments mit Lita), sondern auch als der ultimative Opportunist bekannt werden. Als jener Wrestler, der jede Chance zum Sieg und jede Gelegenheit, um unter die Haut seines Gegners zu gelangen, ergreift und dabei auf Ruhm und Ehre pfeift.
Der Rated R-Superstar wird zur festen Größe im Main Event
Fortan war Edge aus dem WWE Main Event nicht mehr wegzudenken und traf in Matches so wie Rivalitäten auf ein Who-is-Who der WWE, wie Batista, John Cena oder den Undertaker. Dabei spielte Edge fast immer die Rolle des Bösewichts. Nicht, weil ihm die Fans seine Affäre mit Lita etwa nicht verziehen hätten, sondern weil er als Heel einfach unfassbar effektiv war. Seine Qualitäten im WWE-Ring sicherten ihm dabei aber auch eine immerzu respektierte Reputation.
Zu den prägenden Storylines seines Main Event Runs gehörten vor allem seine phasenweise Allianz mit Randy Orton (Rated RKO), die in einem weiteren Tag Team Titel gipfelte sowie seine Scheine-Ehe mit Vickie Guerrero, die damals als hysterische General Managerin die WWE terrorisierte und deren Zweckgemeinschaft Edge suchte, um sich Vorteile zu verschaffen.
Edge sorgt für Rekorde
Insgesamt konnte Edge bis 2011 elf Haupttitel bei der WWE halten. Viermal die WWE Championship und siebenmal die von der WCW implementierte World Heavyweight Championship. Die sieben World Heavyweight Titel (nach Version der WWE) sind dabei Rekord. Ein Rekord, der nie wieder gebrochen werden wird, da dieser Titel in der Form nicht mehr existiert. Insgesamt war Edge (mit unterschiedlichen Partnern) unfassbare 14 Mal Tag Team Champion!
Zwölf dieser Regentschaften entfielen dabei auf die alte WWF-/World Tag Team Championship. Ebenfalls Rekord! Niemand hielt den Titel öfter! Dazu kamen ein Sieg beim King of the Ring Turnier 2001, ein Sieg beim Royal Rumble 2010 sowie fünf Intercontinental Titel und ein US-Titel. Das macht Edge zu einem der am höchsten dekorierten Heels der WWE Geschichte!
Verletzungsbedingtes Karriereende und überraschende Rückkehr
Nachdem Edge seinen World Heavyweight Titel erfolgreich gegen Alberto del Rio bei WrestleMania 27 verteidigen konnte, kam es eine Woche später, am 11. April 2011 zu einer traurigen Enthüllung. Im WWE Ring adressierte Adam Copeland als Privatperson die WWE-Fans und unterrichtete diese darüber, dass sich im Nackenbereich bei ihm eine sogenannte spinale Stenose gebildet hatte. Eine degenerative Entwicklung, bei der sich die Wirbel in diesem Bereich solcherart verdichtet hatten, dass es zu neurologischen Beschwerden, wie Taubheit in den Armen, kam. Wahrscheinlich eine Konsequenz früherer Nackenverletzungen, die Edge bereits über ein Jahr seiner Karriere gekostet hatten. Eine weitere Verletzung in diesem Zustand hätte in einer Lähmung vom Hals an resultieren können! Und so sah sich Edge gezwungen, seine Karriere zu beenden und eine OP wahrzunehmen (welche die einzige Behandlungsform darstellte).
Emotional verabschiedete er sich von den Fans und verhalf seinem ehemaligen Wegkollegen, Christian, unterstützend von außen zu einem Haupttitel. Fortan war Edge noch regelmäßig beim WWE Network zu sehen, wo er eigene Formate bediente. 2012 kam er in die WWE Hall of Fame. Auch als Schauspieler konnte er einige Achtungserfolge erzielen (unter anderem eine Rolle in der Fernsehserie Vikings).
Beim Royal Rumble 2020 folgte, nach knapp neun Jahren, die völlig überraschende Rückkehr! Unter dem Jubel der Fans kehrte Edge als Überraschungsauftritt im Royal Rumble zurück, was kaum einer für möglich gehalten hätte. Seither trat Edge wieder gelegentlich auf, um eine Fehde mit Randy Orton (seinem ehemaligen Rated RKO-Kollegen) zu pflegen. Allerdings hat Edge gegenwärtig (Juli 2020) eine Verletzung am Trizeps an die Seitenlinie gezwungen.