Wie das Kickboxen in die Niederlanden kam und weshalb der Hype so stark ist

Kickboxen und der Hype in den Niederlanden

Bildquelle: Mr.Peerapong Prasutr CC BY-SA 4.0 [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)

Wer sich mit dem Kickboxen als übergeordnete Disziplin auseinandersetzt, der wird über kurz oder lang zwangsläufig über den “niederländischen Stil“ stolpern. Holland bzw. die Niederlande sind der signifikanteste Vertreter Europas im Kickboxen. Zwar sind auch einige andere starke Europäer mit dabei, wie Frankreich, einige Balkanländer und gelegentlich starke Osteuropäer. Doch in der Breite sind die Niederländer im Kickboxen schon seit den letzten paar Jahrzehnten besser aufgestellt als irgendwer sonst.

Quasi, seit Mitte der 90er, als K-1 so erfolgreich wurde, waren und sind sie kontinuierlich mit gleich mehreren Kämpfern an der Weltspitze vertreten. Kickboxen hat kurz nach dessen Entstehung ab Mitte der 1970er in den Niederlanden buchstäblich Schule gemacht.

 

Eine Entwicklung, die den besagten holländischen Stil hervorgebracht hat. Um dessen Wurzeln zu verstehen, muss man einen Blick auf die Entwicklung des Vollkontakt Kickboxens insgesamt werfen.

Ursprünge in Japan

Die Idee sowie erste Umsetzungen von Vollkontakt Kickboxen wurden ursprünglich in Japan ersonnen. Dort verfolgte Tatsuo Yamada, ein Karate Meister, bereits ab den 1950ern die Idee, einen Vollkontakt Wettbewerb im Karate zu etablieren. Denn bis dahin war Karate eine Kampfdisziplin, die allenfalls im Halbkontakt abgehalten wurde und eingedenk eines zum Teil recht unübersichtlichen Punktsystems für Zuschauer weder besonders aufregend noch nachvollziehbar war. Ganz zu schweigen davon, dass ein solches Geschehen wenig mit einem echten Kampf zu tun hatte. In diesem Zusammenhang war Tatsuo Yamada auch einer der ersten Ausländer, der sich für Muay Thai (Thai Boxen) interessierte, einen bis dahin eher obskuren Sport, der außerhalb der Grenzen Thailands längst nicht so bekannt war wie heute. Tatsuo Yamada studierte diesen Sport eingehend, was seine Idee davon, wie Vollkontakt Karate aussehen und abgehalten werden könnte, maßgeblich beeinflusste.

Infolgedessen kam es ab den 1960ern zu mehreren Auseinandersetzungen zwischen Karateka und Muay Thai Kämpfern, wobei jedoch die Meriten der jeweiligen Teilnehmer erheblich schwankten (viel Nationalstolz sorgte hier zweifelsohne für fragwürdige Ansetzungen auf beiden Seiten). Doch sollte dies die Initialzündung für den ersten Kickbox-Boom in Japan werden. Der sich ab den späten 60ern über die 70 hinweg vollzog. Mehrere Sendestationen übertrugen große Kickbox-Events und erste japanische Stars, allen voran Tadashi Sawamura, wurden zu den ersten Stars des Kickboxens. Auch wenn ihre Popularität natürlich vor allem ein japanisches, nationales Phänomen war. Es war in jener Zeit, dass einige Holländer Interesse an diesem neuen Stil des Vollkontakt Karates entwickelten. Und so reisten einige von ihnen nach Japan, um ihn zu erlernen. Doch bei einer bloßen Übernahme dieses Stils sollte es nicht bleiben.

Pioniere des niederländischen Stils

Die niederländischen Kyokushin Karateka Jan Plas, Peter van den Hemel und Jan van Looijen flogen 1975 nach Japan, um dieses neue japanische Kickboxen von Kenji Kurosaki zu erlernen. So liegt die Wurzel des niederlädnischen Stils im japanischen Stil, sollte sich aber darüber hinaus noch maßgeblich weiterentwickeln. In Japan erlernten die Niederländer Techniken, die bis dato in ihrem Karate noch keinerlei Rolle gespielt hatten, wie Low Kicks und Kicks mit dem Schienbein anstatt mit dem Fuß. Mit der Rückkehr der Niederländer entstanden die ersten Gyms auf niederländischen Boden, die diese neue Disziplin des Vollkontakt-Kampfsports lehrten. Die bedeutendsten niederländischen Kickbox-Schulen wurden in der Folge das Mejiro Gym, das Chakuriki Gym und Golden Glory.

1976 kam es zu einem Turnier zwischen zwei rivalisierenden Schulen, dem Mejiro Gym und dem Chakuriki Gym. Das Turnier erfuhr reges Interesse. Nicht zuletzt, weil beide Gyms in unterschiedlichen Stadtteilen Amsterdams lagen und somit lokaler Stolz eine große Rolle spielte. Der Erfolg dieses Turniers legte den kommerziellen Grundstein für das Kickboxen in den Niederlanden. Die steigende Popularität des Sports sorgte für wachsende Professionalisierung, weil nun damit Geld zu verdienen war. Und es dauerte nur einige Jahre, bis ab den 80ern und 90ern erste niederländische Kämpfer aufkamen, die sich mit den besten der Welt messen konnten. Es war auch in dieser Zeit, dass sich der niederländische Stil signifikant weiterentwickelte.

Die ersten internationalen Stars des niederländischen Kickboxens waren Rob Kaman (der neunfache Champion wurde und auch Titel im Muay Thai erringen konnte) und Ramon Dekkers. Dekkers war dabei der erste Ausländer überhaupt, der jemals im thailändischen Lumpinee Stadium einen Lumpinee Champion besiegen konnte – eine offene Herausforderung an die Elite im Muay Thai! Das machte Dekkers zwar nicht zum ersten “Farang“ (Ausländer), der im Muay Thai erfolgreich war. Rob Kaman und der Japaner Toshio Fujiwara waren ihm zuvor gekommen. Was Dekkers jedoch abhob: Er kämpfte gezielt gegen die besten Thais seiner Zeit und gewann auch oft! Dadurch wurde er in Thailand, auch aufgrund seines aggressiven Kampfstils, und weil er jede Herausforderung annahm, populärer als er es in den Niederlanden jemals sein sollte. 1992 wurde er gar zum Kämpfer des Jahres in Thailand gewählt. Eine Ehre, die ehedem noch nie einem Ausländer zuteilgeworden war. Noch heute ist es der Stoff sentimentaler Legenden, wenn sich die Leute in Thailand erzählen, wie plötzlich der Verkehr in Thailands Städten teilweise zum Erliegen kam, wann immer Dekkers einen Kampf hatte. Viele Taxifahrer verweigerten die Weiterfahrt – sie mussten den nächsten Fernseher aufsuchen! Und ihre Gäste womöglich auch.

Was den niederländischen Stil ausmacht

Der niederländische Stil wird vor allem durch zwei Dinge gekennzeichnet: durch seinen offensiven, aggressiven Fokus (großer Vorwärtsdrang) und durch die Betonung auf Schlägen. Während im Muay Thai die Schlagtechniken mit den Händen eher unterentwickelt sind, weil diese als nachrangiges Punktekriterium gelten, so ist der holländische Stil (auch wenn er klar durch Muay Thai geprägt ist) stark vom westlichen Boxen beeinflusst. Laterale Bewegungen, um günstige Schlagwinkel zu erzeugen, spielen im niederländischen Stil eine größere Rolle, was ebenfalls vom Einfluss durch das Boxen zeugt. Die offensive Strategie dreht sich dabei oft um Kombinationen aus Low Kicks, Haken und Geraden. Oftmals um kraftvolle Kicks gegen den Kopf oder Körper vorzubereiten bzw. deren Bevorstehen zu verschleiern. Der Clinch, Ellbogenstöße, Kniestöße und Push Kicks (wie sie im Muay Thai üblich sind) werden zwar auch gelehrt, spielen strategisch jedoch meist nur eine untergeordnete Rolle.

Der niederländische Stil kann durchaus auch über Europa hinaus als eine der dominantesten Spielarten des Kickboxens gedeutet werden. Ganz sicher, soweit es mittlere bis höchste Gewichtsklassen betrifft. So haben führende Promotions wie K-1 und Glory ihre Regelauslegung überwiegend um diesen Stil errichtet. Von den 19 bisherigen K-1 Grand Prix Titeln im Schwergewicht (1993-2013) gingen alle bis auf vier in die Niederlanden! Die Gruppe jener, die den K-1 GP mindestens dreimal gewinnen konnten, besteht ausschließlich aus Niederländern (3x Peter Aerts und Remy Bonjasky/4x Ernesto Hoost und Semmy Schilt).


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