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Marco Pantani – Kletterer der Herzen
Die 1990er waren für den Radsport so etwas wie eine Wild-West-Epoche. EPO wurde zum Dopingmittel Numero eins im Feld und blieb für rund zehn Jahre überhaupt nicht direkt nachweisbar. Hinzu kam eine lasche Anti-Doping Politik, die auf dieses Mittel, das im Feld einschlug wie eine Bombe, nicht im Geringsten vorbereitet war.
Inmitten des hochgezüchteten Fahrerfelds tat sich mit Marco Pantani ein Kletterer hervor, der mit seinen mitreißenden Attacken am Berg sowie durch seine aggressive Fahrweise bald ein Shootingstar der Szene und letztlich zum Mythos wurde. Ein Mythos insofern, weil er (Stand 2020) der letzte Fahrer war, der Giro d‘Italia und Tour de France im selben Jahr gewinnen konnte, als reiner Kletterer bemerkenswerte Rekorde aufstellte und letztlich von Doping-Beschuldigungen, darauf basierenden Depressionen und durch Kokainabhängigkeit in ein frühes Grab getrieben wurde. Dabei hätte Marco Pantani sogar durchaus noch mehr gewinnen können, wenn ihn nicht das Verletzungspech viele Monate seiner Karriere gekostet hätte.
Unfassbares Verletzungspech
Mit 57 Kilogramm, verteilt auf 1,72m Körpergröße, war Marco Pantani der klassische Kletterer. Schon zu Amateurzeiten konnte er sich als Bergfahrer mit Grand Tour Aspirationen hervortun. Als Amateur gewann er 1992 den Girobio, die Amateurversion des Giro d'Italia, nachdem er 1990 Dritter und 1991 Zweiter geworden war. 1992 markierte dann auch das Jahr, in dem er zu den Profis wechselte. Und es sollte nicht lange dauern, ehe er dort erst Wellen machte. So konnte er bereits 1994 Zweiter beim Giro d‘Italia und Dritter bei der Tour de France werden. Beim Giro fuhr er dabei zwei Etappensiege ein und endete vor dem Gewinner der beiden vorherigen Auflagen, Miguel Indurain. Bei der Tour de France 1994 wurde er als bester Jungfahrer ausgezeichnet.
Ab 1995 schlug dann jedoch der Verletzungsteufel zu. Während einer Trainingsfahrt wurde Marco Pantani von einem Auto erfasst und verpasste verletzungsbedingt den Giro d‘Italia. Allerdings konnte er an der Tour teilnehmen und dort zwei Etappen gewinnen, auch wenn es letztlich nur für Rang 13 reichte. Auch 1995 wurde er zum besten Jungfahrer der Tour de France. Beim italienischen Rennen Mailand-Turin wurde der dann abermals von einem Auto erfasst und zog sich schwere Verletzungen zu. Als Konsequenz verpasste er nahezu die gesamte Saison 1996!
Wie eine schwarze Katze Pantani zu Fall brachte
1997 kehrte Pantani dann als Team-Kapitän des neu geformten Teams Mercatone Uno zurück. Doch beim Giro‘ d Italia 1997 stürzte er abermals, als ausgerechnet eine schwarze Katze die Strecke kreuzte und einen Unfall auslöste.
Marco Pantani musste sich aus dem Rennen verabschieden, kehrte aber rechtzeitig zur Tour de France 1997 zurück, wo er hinter Tour de France Sieger Jan Ullrich Dritter wurde und zwei Etappen in den Alpen gewinnen konnte. Dabei stellte er mehrere Streckenrekorde bei Alp d‘Huez auf, die bis heute Bestand haben!
Steckbrief zu Marco Pantani
Nationalität: Italien
Spitzname: Il Pirata (Der Pirat)
Teams
1992–1996 Carrera Jeans-Vagabond
1997–2003 Mercatone Uno
Die größten Erfolge von Marco Pantani
- Gesamtsieger Tour de France (1998)
- 2x bester Jungfahrer bei der Tour de France (1994, 1995)
- 8 Etappensiege bei der Tour de France (1995, 1997, 1998, 2000)
- Gesamtsieger beim Giro d'Italia (1998)
- Bergwertung beim Giro d'Italia (1998)
- 8 Etappensiege beim Giro d'Italia (1994, 1998, 1999)
- Vuelta a Murcia (1999)
1998 ein überirdisches Jahr
1998 markierte dann den großen Durchbruch für Marco Pantani und zementierte seinen Ruf als ein überragender Bergfahrer seiner Zeit. Er gewann sowohl den Giro d‘Italia als auch die Tour de France im selben Jahr, was ihm als siebtem Fahrer gelang und seither (Stand: 2020) keinem Fahrer mehr gelungen ist. Dabei hatte Marco Pantani stets seine liebe Mühe im Zeitfahren. So lag er sowohl im Giro als auch in der Tour nach dem Prolog und dem ersten Zeitfahren jeweils über vier Minuten hinter dem Erstplatzierten.
Doch in beiden Wettbewerben fuhr er in den Bergen alles in Grund und Boden! Beim Giro d‘Italia holte er zudem ebenso das Bergtrikot und wurde in der Punktwertung Zweiter. Somit hätte er fast all drei Haupttrikots beim Giro d‘Italia 1998 gewonnen! Wenig überraschend gewann er den Vélo d‘Or 1998 – die Auszeichnung zum Radrennfahrer des Jahres im UCI Radsport.
Doping, Drogen und Depressionen
1999 war Marco Pantani drauf und dran, wieder beim Giro d‘Italia den Gesamtsieg davonzutragen. Er hatte bereits vier Etappen gewonnen, einen komfortablen Vorsprung und es stand nur noch eine Bergetappe an. Doch dann wurde Marco Pantani des Rennens verwiesen, da er einen Hämatokritwert von knapp 52% aufwies. Und alles über 50 % galt der UCI als suspekt.
Im Grunde eine (keineswegs unumstrittene) Krücke dafür, dass EPO selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht nachweisbar war. Pantani beteuerte jedoch, nichts genommen zu haben. Dennoch wurde er für zwei Wochen gesperrt. Sein Team verließ aus Protest den laufenden Wettbewerb.
Immer wieder Dopingvorwürfe
Danach sollte er nie wieder derselbe sein. Wiederkehrende Doping-Anschuldigungen wurden zu einem Thema seiner Karriere, das ihn belastete. Beim Giro d‘Italia 2000 war er sich bis einen Tag vor dem Rennen unschlüssig, ob er überhaupt teilnehmen wollte und bei der Tour de France 2000 trumpfte er nochmal am Mont Ventoux auf, lieferte sich aber ansonsten eine Schlammschlacht mit Lance Armstrong in den Pressekonferenzen.
Die Tour 2000 musste Pantani dann aufgrund von Krankheit abbrechen. Danach wurden seine Resultate immer schlechter. Er driftete in Depressionen ab, fing an, regelmäßig Kokain zu konsumieren und ließ sich später selbst einweisen. Zu diesem Zeitpunkt (Oktober 2003) machte er keinen Hehl mehr daraus, mit dem Radwettkampf im Wesentlichen durch zu sein: „Vergesst den Sportler Pantani. Ich fahre nur noch Fahrrad, um meine Beine zu drehen. Aber Radrennen sind das Letzte, was mir in den Sinn kommt.“
Tod und spätere Doping Befunde
Marco Pantani wurde am Abend des 14. Februars tot in seinem Hotelzimmer in Rimini aufgefunden. Todesursache war eine Kokainvergiftung. Er hatte sich wohl mehrere Tage in diesem Hotelzimmer einquartiert. Sein tragischer Tod und seine offensive Fahrweise haben ihn im Nachgang zu einem sehr glorifizierten Fahrer gemacht. Insbesondere weil er zu Lebzeiten nie wirklich des Dopings überführt worden war.
Jahre später erwies sich gar, dass die Blutprobe von 1999, die ihn einen weiteren, sicher geglaubten Giro Sieg gekostet und den Anfang vom Ende markiert hatte, von der italienischen Mafia verfälscht worden war! Denn angeblich sollen kriminelle, illegale Buchmacher viel Geld in Aussicht gehabt haben, sofern Pantani nicht gewann. Sollte dem in der Tat wirklich so gewesen sein, würde das den anschließenden Fall des Marco Pantani umso tragischer gestalten!
Marco Pantani war gedopt
Doch eine Sache ist heute völlig klar: Marco Pantani hat – so wie ausnahmslos alle Topfahrer seiner Ära – definitiv gedopt. Einsicht in die Krankenhaus-Akten nach seinen Unfällen Mitte der Neunziger offenbarte Hämatokritwerte, die noch weit höher waren als die möglicherweise vermeintlichen 52% beim Giro 1999. Der Verdacht verdichtete sich weiter, als der berüchtigte Dopingarzt Francesco Conconi aufflog. In seinen Unterlagen tauchte auch ein Eintrag auf, den man Pantani zuordnete.
Aus diesem gingen Hämatokrit-Schwankungen auf, die auf natürlichem Wege nicht erklärbar waren. Endgültige Gewissheit kam dann 2013, als ein veröffentlichter Bericht des französischen Senats über Doping bestätigte, dass Pantani bei rückwirkenden Tests von Proben der Tour de France 1998 einen positiven EPO-Test aufwies (so wie auch bei Jan Ullrich und Co.).
Depressionen und Drogentod überschatten seine Karriere
Dennoch ist Marco Pantani eine tragische Figur. Getrieben von Erfolgswillen und dem Wunsch nach sportlicher Anerkennung, trieb ihn der medial-öffentliche Liebesentzug in eine tödliche Depression. Sein Ruf als begnadeter Bergfahrer war allen Verfehlungen zum Trotz nicht ungerechtfertigt.
Denn die Konkurrenz hatte ebenfalls dickes Blut in den Adern. Letztlich wurde Marco Pantani das Opfer einer Doping-Kultur im Radsport und einem damit (auch heute noch) extrem ambivalent umgehenden Umfeld, bei dem es entweder heißt: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Oder aber plötzlich: „Ab mit dem Kopf!“. Marco Pantani bekam beide Extreme zu spüren.