Bildquelle: Rene Schwietzke [CC BY-SA 2.0], via Flickr.com (Bild bearbeitet)
Jan Ullrich – Unvergessen und doch obskur
Kein anderer deutscher Radrennfahrer steht so sehr wie Jan Ullrich für die wachsende Popularität des Radsports ab Ende der 1990er sowie für ihren zwischenzeitigen Zusammenbruch, von dem sich der Radsport hierzulande gerade wieder erholt. Jan Ullrich, seines Zeichens der erste und nach wie vor einzige deutsche Tour de France Gewinner. Sein Erfolg machte ihn und Team Telekom zu etablierten Größen der deutschen Radsport-Geschichte. Bis heute kann man davon ausgehen, dass Jan Ullrich der wohl kompletteste deutsche Klassementfahrer war.
Doch zwei Dinge sollten die Karriere von Jan Ullrich nachhaltig überschatten. So wird Ullrich vor (vor allem international) eher als der “Zweite“ nach Lance Armstrong wahrgenommen. Denn dreimal kam er als Zweiter in Paris hinter Lance Armstrong an. Doch hierzulande war es vor allem Ullrichs teilweise ungeschickter und unaufrichtiger Umgang mit seiner Doping-Vergangenheit, der ihn viel Ansehen gekostet hat, worauf noch diverse private Eskapaden folgten.
Eines der größten deutschen Talente
Jan Ullrich gewann sein erstes Radrennen im Alter von nur neun Jahren. Damals noch in Turnschuhen und auf einem geliehenen Rennfahrrad. Er fuhr für den SG Dynamo Rostock. Wie in der ehemaligen DDR üblich wurde Ullrich (eingedenk seines offensichtlichen Talents) entsprechend geschult und gefördert. Doch die Wiedervereinigung sollte Einiges ändern und Ullrich landete schließlich bei einem Amateurklub in Hamburg.
Bereits als junger Amateur offenbarte Ullrich sein großes Potenzial. So sollte er 1993 bei den UCI-Weltmeisterschaften das Rennen der Amateure für sich entscheiden. In eben jenem Jahr, in dem sein späterer Dauerrivale, Lance Armstrong, selber bei den Profis Weltmeister werden sollte. Schon früh tat sich Jan Ullrich als starker Zeitfahrer hervor. Denn nur ein Jahr später holte er Bronze bei den Weltmeisterschaften im Einzelzeitfahren. Diese Qualitäten brachten ihn 1995 beim ambitionierten und gut finanzierten Team Telekom unter.
Im Team Telekom sollte Jan Ullrich schnell zum Edelhelfer für Bjarne Rijs werden, der 1996 mit seiner Hilfe die Tour de France gewinnen konnte. Jan Ullrich erwies sich als gleichermaßen talentierter wie wertvoller Teamplayer und verzichtete bewusst auf eine Teilnahme bei den Olympischen Spielen 1996, um an der Tour teilnehmen zu können. Eingedenk der starken Leistungen von Jan Ullrich als Helfer bei dieser Tour 1996 und der Tatsache, dass er im Tour-Verlauf laufend Zeit auf seinen Kapitän und späteren Tour Gewinner, Bjarne Rijs, gutmachen konnte, mutmaßten nicht wenige, dass Jan Ullrich bereits 1996 selber die Tour hätte gewinnen können. Doch er verweigerte derlei Spekulationen und bekannte sich auch nach außen hin zu seinem Kapitän.
Steckbrief zu Jan Ullrich
Nationalität: Deutschland
Spitzname: Ulle
Teams
1987 SG Dynamo Rostock
1987–1989 SC Dynamo Berlin
1991 SC Berlin
1992–1994 RG Hamburg
1995–2002 Team Telekom
2003 Team Coast
2003 Team Bianchi
2004–2006 T-Mobile Team
Die größten Erfolge von Jan Ullrich
- Gesamtsieg bei der Tour de France (1997)
- Bester Jungfahrer bei der Tour de France (1996, 1997, 1998)
- 7 Tour de France Etappensiege (zwischen 1996 und 2003)
- Gesamtsieg bei der Vuelta a España (1999)
- 2 Etappensiege bei der Vuelta a España (1999)
- Gesamtsieg Tour de Suisse (2004)
- Weltmeister im Zeitfahren (1999, 2001)
- Weltmeister im Straßenrennen (1997, 2001)
- Deutscher Meister im Zeitfahren (1995)
- Olympiasieg im Straßenrennen (2000)
- Erster bei den Hamburg Cyclassics (1997)
- Erster im Giro dell'Emilia (2001)
- Erster beim Rennen Rund um Köln (2003)
Der erste deutsche Tour de France Sieger und ewige Armstrong-Rivale
Bei der Tour de France 1997 sollte sich jedoch die Einschätzung von Ullrich als stärkstem Mann in Diensten von Team Telekom bestätigen. Auch in diesem Jahr trat er als Helfer für Bjarne Rijs an, mauserte sich im Tour-Verlauf jedoch zum Klassementfahrer und somit zum neuem Teamkapitän, als Rijs in den Bergen einbrach und Ullrich sich als stärker erwies. Jan Ullrich wurde somit zum ersten und nach wie vor (Stand 2019) einzigem deutschen Gewinner der Tour de France. Ein Jahr später gewann er auch noch die Spanien-Rundfahrt und war nun endgültig in den Reihen der beständig ernst zu nehmenden Klassementfahrer seiner Zeit angekommen. Es folgte ein Radsport-Boom in Deutschland, wie es ihn ehedem nicht gegeben hatte.
Doch gerade als Jan Ullrichs Karriere als Mann für die kommenden großen Rundfahrten vorgezeichnet schien, kehrte ein Mann namens Lance Armstrong, genesen vom Krebs, zum Sport zurück. Er sollte von 1999 bis 2005 jede Tour de France gewinnen. Jan Ullrich, der sich bereits bei der Skandal-Tour 1998 mit dem zweiten Platz hinter Marco Pantani begnügen hatte, müssen, wurde insgesamt dreimal (2000, 2001 und 2003) Zweiter hinter Lance Armstrong. Jan Ullrich galt als dessen beständigster Rivale, wurde aber auch, mit Blick auf die Tour de France, entsprechend von ihm überschattet.
Gleichwohl die sportliche Rivalität zwischen Armstrong und Ullrich von gegenseitigem Respekt und bisweilen sportsmännischen Gesten geprägt war (so warteten beide je einmal auf den jeweils anderen, als dieser stürzte oder anderweitig aufgehalten wurde), gab Ullrich später zu, dass seine Niederlagen gegen Armstrong phasenweise sehr an ihm genagt hätten. Besonders bitter: 2003 war ein Tour de France Sieg über Lance Armstrong zum Greifen nahe gewesen. Doch ein Sturz im entscheidenden Zeitfahren, das bis dahin gut für Ullrich gelaufen war, ließ ihm einen Etappenerfolg und möglicherweise die Tour de France 2003 durch die Hände gleiten. Ebenso wurden 2005 und 2006 vielversprechende Ansätze von Verletzungspech ausgestochen.
Selbstschutz oder Selbstdemontage?
Auch wenn Jan Ullrich seine Karriere durch Armstrong möglicherweise als teilweise unerfüllt sah und dies vielleicht sogar bis heute so empfindet, war er dennoch Deutschlands geliebter Radsportler. Er war die Galionsfigur eines öffentlichen und kommerziellen Interesses am deutschen Radsport, wie es ehedem schlicht und ergreifend keines gegeben hatte. Auch die heutige relative Renaissance dieses Interesses wäre ohne Jan Ullrichs Erfolge wahrscheinlich nicht möglich.
Doch es sollte alsbald ein kalter Entzug in Sachen öffentlicher Lobpreisungen folgen. 2006 wurde im Rahmen der Operation Puerto, die den spanischen Doping-Arzt Eufemiano Fuentes ins Visier nahm, auch Ullrichs Name schwer belastet. Ein Dopingskandal, der selbst die „Tour der Schande“ (von 1998) wie eine kleine Verfehlung erscheinen ließ, erfasste den Radsport und spülte quasi alle großen Namen der vorangegangenen Jahre, einschließlich Lance Armstrong, hinfort. Einer nach dem anderen wurde überführt und geständig. Manche zähnefletschend, manche offen.
Doch Jan Ullrich hielt lange an einer stupiden Strategie fest, jegliches Doping zu leugnen, gleichwohl schon etliche seiner damaligen Konkurrenten und Kollegen längst alles zugegeben hatten und sich die Faktenlage immer mehr gegen Ullrichs Beteuerungen stellte. Als er erst 2013 Blut-Doping zugab, wurde dieses nachgereichte Geständnis fast nur noch mit Achselzucken wahrgenommen. Doch der einst so glanzvolle Ruf von Jan Ullrich hatte bis dahin schweren Schaden genommen. Nicht so sehr wegen des Dopings an sich, sondern wegen seines Umgangs damit. Letzthin kamen auch noch Drogenprobleme (unter anderem Amphetamine) sowie diverse private Entgleisungen hinzu, die das Bild eines Mannes zeichnen, der mit sich am Hadern ist.