Chris Boardman - Einer der größten Spezialisten der Radsportgeschichte

Was macht Chris Boardman heute?

Bildquelle: david neil smith on Flickr [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)

Trotz einer recht kurzen Profikarriere von gerade einmal sieben Jahren schaffte es der Brite Chris Boardman, sich in den Neunzigern einen Namen in Straßenrennen zu machen. Der erfolgreiche Bahnfahrer und Spezialist in der Einerverfolgung tat sich insbesondere als überragender Zeitfahrer hervor. Etwas, was er eindrucksvoll nachwies, indem er den Stundenrekord gleich dreimal holte! Sein Rekord von 1996, ehe die UCI die Statuten in Puncto zuverlässiger Modifikationen am Bahnrad rigider auslegte, steht dabei nach wie vor (Stand 01/2020) als inoffizieller Rekord und weiteste je gefahrene Strecke.

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Chris Boardman einer der spezialisiertesten Fahrer aller Zeiten war. Nahezu all seine Erfolge erstritt er im Zeitfahren sowie in der Einerverfolgung im Bahnradrennen (eine Wettkampfform, die dem Zeitfahren sehr ähnlich ist). Selbst seine drei Etappensiege bei er Tour de France waren allesamt Siege bei Prologen (dem kurzen Zeitfahren zu Beginn jeder Tour). Dies brachte ihm den Spitznamen „Mr. Prolog“ ein. Er wurde aber vor allem „Der Professor“ genannt, weil er sich minutiös auf Wettkämpfe vorbereitete und sich auch sehr interessiert an der Technik der Rennräder und deren Rennverhalten zeigte.

Vorsprung durch Technik

Chris Boardman begann den Radsport mit 13 Jahren. Mit 16 wurde er bereits in die nationale Jugendauswahl berufen. Dem folgte eine auf nationaler Basis sehr erfolgreiche Amateurkarriere. Bereits dort tat er sich als exzellenter Zeitfahrer hervor und stellte mehrere nationale Rekorde auf. Doch bekannt werden sollte er als Bahnfahrer, wo er in der Einerverfolgung 1992 Olympiagold in Barcelona holte. Im Rennen um die Goldmedaille schlug er Deutschlands Jens Lehmann, der als amtierender Weltmeister und zweifacher Olympiasieger von Boardman im Finale klar geschlagen wurde.

Dabei begab sich eine Besonderheit, für die man sich vor allem an Boardman erinnert. Er trat mit einem extrem aerodynamischen Rennfahrrad an, einem Lotus 108. Eine Spezialanfertigung mit radikal verändertem Rahmen. Nach seinem Sieg bei der Olympiade sollte Boardman noch zweimal Weltmeister in der Einerverfolgung und dreifacher Rekordhalter des Stundenrekords werden.

Innovative Rivalität mit Graeme Obree

Doch in beiden Disziplinen trat mit dem schottischen Bahnfahrer Graeme Obree ein sportlicher Rivale auf den Plan, der selbst zweimal Weltmeister in der Einerverfolgung und zweifacher Halter des Stundenrekords werden sollte. Die sportliche Rivalität der beiden Fahrer war vor allem dadurch geprägt, dass sie immer radikaler ihrer Rennmaschinen modifizierten, um auch noch das letzte Quantum an Aerodynamik herauszukitzeln. Obree verbaute gar Komponenten einer Waschmaschine, um das Drehmoment zu verbessern.

Dieses konzeptionelle Wettrüsten, welches insbesondere den Bahnsport technisch voranbrachte, brachte auch die von Obree ersonnene und später von Boardman übernommene „Superman“ Position hervor, bei welcher der Oberkörper quasi horizontal positioniert war, da die Lenker extrem weit vorne lagen. Dadurch war die Körperfläche so klein wie es nur ging. In eben dieser Position auf einem Lotus 110 (einem nachfolge der 108er Variante von 1992) holte Chris Boardman den Stundenrekord, der heute zwar nicht mehr von der UCI anerkannt wird (aufgrund des radikalen Rad-Designs), aber de facto immer noch den weitesten je gefahrenen Stundenrekord darstellt. Er beträgt 56.375 Kilometer.

Steckbrief zu Chris Boardman

Nationalität: England

Spitzname: Der Professor/Mr. Prolog

Teams

1993–1998 GAN

1999–2000 Crédit Agricole

 

 

Die größten Erfolge von Chris Boardman

 

  • 3 Etappensiege bei der Tour de France (alles Prolog-Etappen) Critérium International (1996)

Wettbewerbe im Zeitfahren:

 

  • Weltmeister im Zeitfahren (1994)
  • Landesmeister im Zeitfahren (2000)
  • 2x Duo Normand (1993, 1999)
  • 2x Chrono des Nations (1993, 1996)
  • Grand Prix der Nationen (1996)
  • 3x Aufstellung eines neuen Stundenrekords (1993, 1996, 2000)
  • Olympiasieger in der Einerverfolgung 1992 (Bahnfahren)
  • 2x Weltmeister in der Einerverfolgung 1994 und 1996 (Bahnfahren)

Ein unwahrscheinlicher Kandidat

Aufgrund seiner Erfolge als Bahn- und Zeitfahrer wurde Chris Boardman rasch als neue Radsporthoffnung der Engländer wahrgenommen. Nicht wenige sahen in ihm gar einen künftigen Tour de France Sieger. Jedoch sollte daraus nichts werden, da Boardman bei Grand Tours sehr verletzungsanfällig war und sich nach eigenem Bekunden auch nicht so gut zwischen den Etappen erholen konnte, wie viele seiner Konkurrenten. Tatsächlich war Chris Boardman körperlich beeinträchtigt, da er ein vermindertes Hormonprofil hatte und sein Testosteron eigentlich zu niedrig war.

Aus eben diesem Grund entwickelte er im außergewöhnlich jungen Alter von nur 30 Jahren eine Osteopenie (eine Vorstufe der Osteoporose). Er war plötzlich vor die Wahl gestellt, seine Karriere vorzeitig zu beenden, um Testosteron (eine gebannte Dopingsubstanz) therapeutisch einnehmen zu können oder mit diesem Nachteil noch weiter zu fahren. Er fuhr noch zwei Jahre weiter und konnte im Jahr 2000 noch einmal einen formal anerkannten UCI Stundenrekord aufstellen. Auf die Kritik mit Blick auf seine Ambitionen als Grand Tour Fahrer nicht alles aus sich herausgeholt zu haben, entgegnete Boardman: „Ich habe mich nie für besonders begabt gehalten, aber ich habe es geschafft, meine Fähigkeiten zu strecken und zu formen und eine Nische für mich zu finden.“

Bis heute ist Chris Boardman seinem Interesse an der Rennrad-Technik treu geblieben und entwirft und vermarktet mittlerweile eigene Rennrad Linien. Überdies trat er phasenweise als technischer Berater des englischen Radsportverbands auf.


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