Gedanken an den Bolzplatz unserer Kindheit – 3 Ecken gleich Elfmeter
Bildquelle: Yoursmile, CC0 CC BY-SA 0 [CC BY-SA 0], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)
Was war das für ein Gefühl, als man damals in der eigenen Kindheit noch auf dem Bolzplatz mit seinen Kumpels kickte? Ein Tor war schnell „zusammengeschustert“ – es reichten zwei Eistee-Packungen, die man eben noch beim Aldi um die Ecke kaufte! Schnell hingestellt – ein Freund fand sich immer, der sich in den 1980er und 90er Jahren zwischen den „Pfosten“ stellen wollte und dabei den zweifachen Welttorhüter Peter Schmeichel mimte.
Die Geschichte rund um den Bolzplatz ist nicht schnell erzählt, gerade weil so viele Kindheitserinnerungen von Millionen Kindern an ihm hängen. Unsere damaligen Idole kannte man als Steppke nur aus dem Fernsehen. Meine Güte, was haben wir den Bundesliga- und Europapokalspielen entgegengefiebert!?
Schnell auf den Bolzplatz – Erinnerungen an die 80er & 90er Jahre
In den Schulpausen ging das Gebolze auf dem Schulhof los. Ne Stulle oder wie man in anderen Teilen Deutschlands sagt: schnell noch das Butterbrot heruntergeschlungen, wollte man in der großen Pause mit seinen Freunden fix das gestrige Spiel seines Lieblingsklubs auf dem Schulhof nachspielen.
Die Saison 1990/91 in der 1. Runde des Europapokals der Landesmeister bescherte dem FC Bayern München die Partie gegen APOEL Nikosia. Das Hinspiel der Ansetzung endete 3:2 der Münchener in Nikosia, während das Rückspiel im Münchener Olympiastadion mit 4:0 gewonnen werden konnte. Damals waren gerade einmal rund 11.000 Zuschauer im weiten Rund anwesend.
Auf dem Platz waren wir alle gleich
Raimond Aumann stand im Kasten der Münchener und irgendein Kumpel „übernahm“ seine Rolle auf dem Pausenhof und wir spielten die Partie nach. Das Ergebnis war ein anderes als am Vorabend des 3. Oktober 1990. Mit 8:5 gewann eines der beiden Teams innerhalb der 20-minütigen Unterrichtspause. Wer die Tore schoss? Natürlich Klaus Augenthaler, Stefan Effenberg, Stefan Reuter und wahrscheinlich auch Radmilo Mihajlovic, der beim realen Spiel der Bayern satte drei Treffer erzielte.
Unsere Schulkameraden hießen Thomas, Benjamin, Florian, Ali, Engin oder auch Horst, der aufgrund seines Namens nicht selten ein wenig gehänselt wurde. Auf dem Bolzplatz waren wir aber alle gleich und das schweißte zusammen.
Drei Ecken – ein Elfmeter
Ein 8:5 kam schnell zustande. Kein Wunder, denn drei Ecken ergaben nach Adam Riese und dem „Bolzplatz-Gesetz“ einen Elfmeter. Gleiches widerfuhr den Teams, wenn man dreimal die Latte traf. War der Aufschrei groß, wenn der Ball vom vermeintlichen Gegenspieler Aumann gehalten wurde.
Welch schöne Kindheitserinnerungen, die man heute noch mit den damals bestehenden Europapokalwettbewerben verbinden konnte. Dabei spielten in unseren Gedanken Millionensummen keinerlei Rolle. Im K.o.-System haben wir die Partien der einzelnen Wettbewerbe durchgespielt. Das konnte dann nach der Schule oder in den Ferien schon mal einen ganzen Tag andauern. Wir hatten unsere Idole, denen wir nacheiferten und abends träumte man davon, selbst einmal auf der großen Bühne Bundesliga oder auch in der italienischen Serie A aufzulaufen. Damals immerhin die stärkste Liga der Welt.
Vier Eistee-Packungen markierten die Tore
Nicht selten fanden unsere Weltmeisterschaften auf dem harten Betonboden der Schule oder auch auf dem Müllplatz des Innenhofes statt, wo wir wohnten. Vier Eistee-Packungen hatte man schnell zur Hand. Das Spiel wurde kurz unterbrochen, wenn man Durst hatte. Ein kräftiger Schluck aus der Eistee-Packung und weiter ging es.
Viele meiner Freunde hatten eine Vorliebe für niederländische und brasilianische Stars. Romario und Bebeto waren in aller Munde. Ebenso wie Marco van Basten oder auch Brian und Michael Laudrup. Zusammen gewannen Bebeto und Romario bei den Olympischen Spielen von 1988 die Silbermedaille und sechs lange Jahre später feierten sie gegen Italien bei der Fußball-WM 1994 den Sieg im Finale. Was das für Auswirkungen auf uns Jungs hatte, kann sich sicherlich jeder denken.
Idole auf dem Bolzplatz nachgeeifert
Plötzlich wollte gefühlt jeder zweite entweder Romario oder halt Bebeto sein. Klar, Roberto Baggio war auch nicht zu verachten genauso wenig wie Franco Baresi, der als knallharter Verteidiger galt. Zusammen mit Paolo Maldini und Alessandro Costacurta waren sie DIE Verteidiger, die zahlreiche Kinder auf dem Bolzplatz sein wollten.
Nicht selten schoss Baggio, Casiraghi oder auch Gianfranco Zola die Italiener zum WM-Titel auf unserem Bolzplatz. Derjenige, der nicht mitspielen konnte, weil er sich im Spiel zuvor den Fuß verstaucht hatte, übernahm die Rolle des Trainers. In dem Fall Arrigo Sacchi, aufseiten der Italiener, und Carlos Alberto Parreira (Brasilien) auf der anderen Seite.
Pitt-Pott und der „Dicke“ muss ins Tor
In Erinnerung geblieben ist auch die Zusammenstellung der Teams. Meist spielte man „Hell“ gegen „Dunkel“. Oberkörperfrei ging natürlich auch. Pitt-Pott, so hieß es bei uns, sollte die Seitenwahl bestimmen. Zwei Spieler der jeweiligen Mannschaft wurden ausgewählt, man stellte sich gegenüber und musste einen Fuß vor dem anderen stellen. Wer zuerst auf den Fuß des Kontrahenten trat, gewann die Seitenwahl oder auch die Wahl der Mitspieler des eigenen Teams. Das war eigentlich eh egal, aber gab uns Sicherheit, die richtige Wahl getroffen zu haben.
Ein weiteres Gesetz des Bolzplatzes war: Wer den Fußball mitbringt darf die Regeln des Spiels bestimmen. Da gab es oftmals eine heillose Diskussion, aber am Ende konnte man sich schnell einigen. Weil nicht jeder ins Tor, sondern viel lieber die Tore erzielen wollte, war der letzte Mann Torwart. „Fliege“ war auch so ein Begriff dafür und der „Dicke“ musste eh oft ins Tor, weil der kaum was durchlassen sollte – so jedenfalls die Theorie.
“Letztes Tor entscheidet“
Wir Kinder haben schon oft Kreativität auf dem Bolzplatz gezeigt. Wahrlich kein Wunder, denn wer hat nicht über Stunden die Tricks seiner Idole geübt. Beim Spielstand 15:9 konnte zudem noch einiges passieren. „Letztes Tor entscheidet“ – welch ein Wahnsinn, steht man doch kurz davor mit Polen Weltmeister zu werden. Und dann soll das Spiel mit dem letzten Treffer entschieden werden?
Aber genau so sollte es sein. Was passiert? Der dicke Horst, den jeder mochte und auch jeder sehr witzig fand, zimmert die Pille aus seinem Strafraum direkt in den Winkel des „zusammengeschusterten“ Tores. Jaaaaaaaaaaa Weltmeister – Welche Nation? Das weiß ich nicht mehr, denn es kam nicht selten vor, dass unsere türkischen Kumpels als „Spanier“ aufs Feld liefen, Deutsche als Dänen den Platz betraten und Polen als Brasilianer die WM auf unserem Bolzplatz gewannen. Keine Spur von Rassismus, der noch heute durch man Stadion hallt.
Die Älteren hatten Vorrang
Eine weitere Bolzplatz-Regel besagte, dass die Älteren Vorrang haben. Da wurde kurz gemuckt, wenn wir 4. Klässler gerade angefangen haben, den aktuellen Bundesligaspieltag nachzuempfinden und nun darauf hoffen mussten, dass von den Älteren einer nach Hause musste, weil der noch größere Bruder losgeschickt wurde, da zuhause das Mittagessen auf dem Tisch stand. Das hieß nämlich, einer von den Jüngeren konnte nachrücken. Verdammt war das anstrengend. Die waren teils zwei Köpfe größer und viel kräftiger.
Spaß hatte es dennoch gemacht und vor allem dann, wenn man einen richtigen Bolzplatz aufsuchte, wo man seine Eistee-Packungen auch auf die Bank stellen konnte und nicht hoffen musste, dass bloß keiner den Pfosten trifft. Echt blöd, wenn die Packung nicht richtig zugeschraubt wurde.
Schütze holt den Ball
Sicherlich kennt Ihr auch die Regel, wer den Ball ins Gebüsch oder über den Zaun schießt, muss diesen auch zurückholen. Das war damals so und es spielte keine Rolle, wie groß oder wie alt derjenige war. Er musste den Ball holen! Erinnert Ihr Euch noch an gespielte Turniere auf dem Bolzplatz? Der Gewinner durfte auf dem Platz bleiben, bis er verliert.
Verdammt Thomas, Ali, Carlo und Patrick waren aber auch verdammt gut. Die Namen sind austauschbar, denn jeder hatte seinen „Erzfeind“ auf dem Bolzplatz. Namen sind Schall und Rauch – das Spiel, die Tore, die für uns teils spektakulär waren und sicherlich auch in die „Sportschau“ zur Auswahl zum Tor des Monats geschafft hätten, waren wichtiger. Leider war nie jemand von der ARD ausgerechnet auf unserem Platz, um unsere Weltmeisterschaft oder EM zu beobachten.
Ohne Schiedsrichter – Traumtore zählten doppelt
Der hätte dann sicherlich auch beobachten können, wie wir ohne Schiedsrichter auskamen. Foul? Ja gut, er bewegt sich noch, also kein Foul! War eine ganz einfache Geschichte. Keiner kam auf die Idee, sich ewig über den Schotterplatz oder wie in unserem Fall, auf dem Hartgummiplatz zu rollen. Warum auch? Das Trikot, welches wir von unseren Eltern zu Weihnachten oder zum Geburtstat geschenkt bekamen, sollte nicht dreckig werden oder gar Löcher bekommen. Teils trugen wir unsere Trikots, die nicht gerade günstig waren, mit Stolz. Der eine mehr und der andere weniger.
Und dennoch haben wir uns beim Fall- und Seitfallzieher versucht – der Treffer galt als Traumtor und zählte demnach doppelt. Das Loch im Trikot musste Mama halt wieder stopfen. Fallrückziehertore sind wichtiger! Sollte es tatsächlich zu einem Unentschieden kommen, dann wusste jeder, was nun passieren sollte. Das „berüchtigte“ Lattenschießen stand an.
Ballbesitzer bestimmt über die Länge des „Spieltages“ auf dem Bolzplatz
Das waren noch Zeiten – irgendwie unbekümmert für viele von uns, die ihre Freizeit mit Freunden auf dem Bolzplatz verbracht haben. Nach Hause wollte man auch nicht wirklich gehen. Schon gar nicht, wenn es warm war, die Sommersonne auf der Haut brannte und wir uns trotz Ermahnung unserer Eltern, uns nicht mit Sonnenschutz eincremten.
An solchen Tagen, vor allem in den Sommerferien, schnappte man sich seinen Ball, ging zum Platz und blieb, bis es dunkel wurde. Flutlicht wäre ein Traum gewesen, aber nicht vorhanden. Es gab Tage, an denen man so lange blieb, bis man nichts mehr sehen konnte. Alternativ war alles beendet, als der Junge, der den Ball mitbrachte, nach Hause ging.
Stirbt der Straßenfußball aus?
Diese Zeit hatte aus meiner Sicht etwas Unschuldiges. Weit weg vom bezahlten Profifußball, der in jener Zeit nicht so stark ausgeprägt war wie heute. Eine Zeit, in der man zig Kids dabei beobachten konnte, wie sie sich mit Namen ansprachen, die die Älteren unter uns noch bestens kennen dürften.
Der Straßenfußball stirbt immer mehr aus. Die Talente werden in ihren Vereinen bis zu einem Punkt ausgebildet und von Vereinen angelockt, die höherklassig spielen. Heute hat man oft das Gefühl, dass schon jungen Spielern bewusst ist, welche Summen im Profifußball möglich sind.
Alle Gegenstände reichten für
Damals dachte wir zumindest nicht an die dicke Kohle. Ebenso wenig dachte man daran, welchen Reichtum man sich erwerben könnte. Wir trugen unser Lieblingstrikot und waren stolz wie Bolle, wenn unsere Eltern die Beflockung bezahlten, damit wir uns wie die damaligen Stars um Zola, Effenberg, Dunga, Romario, Bebeto, Ronaldo, Maldini, Baggio oder auch wie Brehme, Reuter, Littbarski, Häßler, Möller, Thon, Klinsmann, Völler oder auch Karl-Heinz Riedle, den viele „Air Riedle“ nannten, fühlen können.
Hier und da sieht man noch Kinder auf den Bolzplätzen, aber die Zeiten, zumindest in unserer Nachbarschaft, in denen die Kids schon mit den ersten Sonnenstrahlen auf dem Platz standen, um mit Eistee-Packungen, Jacken, Taschen und Tüten zwei Tore aufzubauen, scheinen vorbei zu sein.
Weizenbier-Waldi – Nationalmannschaft am Tiefpunkt
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge blicke ich auf die damalige und heutige Zeit. Man hatte das Gefühl, dass es damals nicht nur ums Geld ging, was die Profis verdienen. Auch hat man mit der Nationalmannschaft viel mehr mitgefiebert, auch wenn es immer wieder Zeiten gab, in denen der deutsche Fußball quasi am Boden lag. Man erinnere sich nur an das 0:0 vom 6. September 2003 als die deutsche Nationalmannschaft mit einem torlosen Remis aus Island zurückkehrte.
Die Wutrede von Rudi Völler (damaliger Nationaltrainer) ist legendär. „Weizenbier-Waldi“ Waldemar Hartmann bekam von der völlig frustrierten „Tante Käthe“ sein Fett weg. Ob berechtigt oder nicht, sei mal dahingestellt.
Wie war Eure Kindheit auf dem Bolzplatz?
Was bleibt also? Eine tolle Kindheit, wenn man diese auf dem Bolzplatz verbracht hat und wahrscheinlich strenge Eltern, die sich über Löcher in den Klamotten, dreckige Trikots und vor allem über Schürfwunden an den Knien beschwert haben.
Das war es uns aber wert, denn in jener Zeit galt das Sprichwort „Die Wahrheit liegt auf dem Platz“ mehr als je zuvor. Wie dem auch sei, jede Zeit hat seine schönen und nicht so schönen Auszüge, die in unseren Erinnerungen bleiben. Die Zeit auf dem Bolzplatz, wobei man sich um 18 Uhr oder war es gar 18.30 Uhr nach Hause begab, um die „Sportschau“ zu schauen, war eines der schönsten Momente im Leben vieler Kinder. Dafür bin ich unendlich dankbar, denn zu meiner Zeit gab es nichts Schöneres. Wie sieht es mit Euren Kids aus? Treiben sie sich auf den Fußballplätzen umher? Erzählt es uns ruhig auf Facebook – wir sind auf Eure Geschichten gespannt.