Warum wurde Deutschland im Boxsport beim internationalen Vergleich abgehängt?
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Der Boxsport in Deutschland hat sicherlich schon bessere Zeiten gesehen. Sowohl sportlich als auch kommerziell. Während Boxen drüben auf der Insel wieder so populär ist, wie schon lange nicht mehr, fristet es hierzulande ein Nischendasein. Und das, obwohl es in Deutschland nicht einmal eine Bezahl-Hürde gibt, wie die unseligen Pay-per-Views, die in den USA und leider auch in Großbritannien mittlerweile gang und gäbe sind. In Deutschland hingegen werden Boxkämpfe unentgeltlich auf Streams und Fernsehsendern übertragen.
Man muss einfach nur einschalten. Aber genau das tun immer weniger Boxfans. Die großen Sendeplätze sind längst flöten gegangen. Stattdessen sind Boxveranstaltungen ins Spartenfersehen verdammt. Von Sport1 bis hin zu den Niederungen lokaler Sendestationen. Und Sauerland, einst der größte Promoter in ganz Europa, steht Gerüchten nach vor der Pleite.
Unter Boxrecs Top 250 gelisteten Kämpfern (pound for pound) sind gerade einmal vier deutsche Boxer dabei. Keiner von ihnen unter den Top 150 und drei von ihnen sind mindestens 35 Jahre alt. Einer ist Jürgen Brähmer, der seit knapp elf Monaten nicht mehr gekämpft hat, mit einem Bein die Trainerlaufbahn eingeschlagen hat und mit 39 Jahren wohl keine Berge mehr bewegen wird. Der andere ist Arthur Abraham, der nur aufgrund großzügiger Punktrichter noch so weit oben steht (er ist der am höchsten gelistete Boxer aus Deutschland).
Dann wäre da noch Karo Murat, mit 35 Jahren ebenfalls kein Talent mehr, der hierzulande zwar zur Leistungsspitze gehört, aber bei Ausflügen nach England und die USA stets den Kürzeren zog (zweimal durch KO). Und dann wäre da noch Vincent Feigenbutz, der zwar jung ist, aber über dem boxerisch (auch nach über 30 Kämpfen!) doch sehr viele Fragezeichen schweben. Was ist nur schief gelaufen im deutschen Boxsport, dass er seit den Tagen von Maske, Ottke und Co. derart abgeschmiert ist?
Nur ungeprüfte Lokalmatadoren
Die vordergründige und am meisten bemühte Antwort ist jene, dass es an massenkompatiblen Gesichtern fehlt, die ein größeres Publikum begeistern könnten. Während das sicherlich nicht falsch ist, so ist es doch nur eine sehr oberflächliche Begründung. Viel spannender ist die Frage, warum man keine Gesichter hat? Die Promoter versuchen ja immerhin laufend, einen Giganten nach dem anderen zu produzieren, indem sie ihnen handverlesene Gegner opfern. Und genau da liegt ein großer Teil des Problems.
Aufbaukämpfe sind ein berechtigter Bestandteil des Boxsports. Wenn man sich anschaut, wie Boxen auf der Geschäftsebene funktioniert, und da gehört natürlich die öffentliche Wahrnehmung dazu, dann wäre es absolut hirnverbrannt, junge Talente in Kämpfen gegeneinander zu verheizen, in denen es um nichts geht. Insofern sind Aufbaukämpfe ein valides Mittel, um Talente zu verbessern und an die Öffentlichkeit heranzuführen. Hin zu den großen Pfründen und sauer verdienten Zahltagen. Doch kann man es damit auch maßlos übertreiben – genau das passiert hierzulande laufend. Und es ist, im Zeitalter von Kampfrekorden, die man online mühelos recherchieren kann, viel zu transparent, um noch für irgendwas gut zu sein.
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Es hat die deutschen “Elite- „Boxer zu Lokalmatadoren gemacht, die außerhalb (und zunehmend innerhalb) der Landesgrenzen niemand mehr ernst nimmt! Weil sie fast nur auf eigenem Boden gegen Journeymen, notorische Loser oder ehemals brauchbare Boxer kämpfen, die über ihren Zenit hinaus sind. Und sollte allem butterweichen Matchmaking zum Trotz doch mal tatsächlich ein einigermaßen gefährlicher Gegner daherkommen, dann setzt es viel zu oft entweder eine Niederlage oder ein dubioses Punkturteil, um selbige abzuwenden. Entweder das oder es kommt zu einer ironischen Kehrtwende. Und zwar immer dann, wenn diese Räuberpistole lange genug aufgeht, sodass der solcherart gepushte Boxer aus deutschen Landen plötzlich selbst zum Herausforderer wird, der nur auf dem Papier gut aussieht. Mit dem erwartbaren Ergebnis. Man kann die Weltspitze nicht herausfordern, wenn man ihr konsequent aus dem Weg geht!
Als Tyron Zeuge seinen WBA-Titel gegen Rocky Fielding verlor, war das wirklich eine Standortbestimmung. Nicht nur war der Anhang des Briten (auf deutschem Boden) von den Weigh-ins bis hin zum Kampf wesentlich präsenter. Zeuge hatte ihm boxerisch nichts entgegenzusetzen! Und Fielding ist weiß Gott nicht der beste Boxer von der Insel. Auch nicht unter den Super Mittelgewichtlern. Stattdessen kam er unverhofft zu spätem Weltmeister Gold. Die britischen Kommentatoren hatten Zeuge zuvor als den wohl schwächsten derzeitigen Champion beschrieben und sahen von Anfang an die gute Gelegenheit für Fielding – und wie er sie bestätigt hat!
Untere Gewichtsklassen völlig vernachlässigt
Ein Punkt, den der deutsche Boxsport kolossal verpennt hat und auch weiterhin verpennt, sind die unteren Gewichtsklassen. In andern Boxmärkten sind die mittleren bis unteren Gewichtsklassen sehr viel populärer als hierzulande. Teilweise auf Augenhöhe mit den Schwergewichten! Nicht zuletzt, weil die leichteren Kämpfer wesentlich dynamischere und auch technisch sehr komplexe Kämpfe liefern. Floyd Mayweather, Manny Pacquiao, Oscar de La Hoya, Pernell Whitaker, Felix Trinidad, Julio Cesar Chavez, Azumah Nelson, Luisito Espinosa, Naseem Hamed, Erik Morales, Marco Antonio Barrera, Alexander Munoz, Nonito Donaire, Roman Gonzalez, Brian Viloria, Humberto Gonzalez, Michael Carbajal, Ricardo Lopez - alles Kämpfer von Weltergewicht bis hin zum Minimalgewicht, die in den letzten 30 Jahren zu großer Bekanntheit kamen und sich in den Geschichtsbüchern des Boxsports verewigt haben.
In Deutschland hingegen sind diese Gewichtsklassen Terra Incognita! Vor allem je weiter man nach unten geht. Dass mit Mirco Martin (13-0) überhaupt ein deutsches Fliegengewicht international gelistet ist, ist mittlerweile ein Wunder. Denn nach deutschen Gegnern müsste er lange und ausdauernd suchen. Keiner seiner 13 Gegner war Deutscher!
Wie groß ist das deutsche Boxen überhaupt historisch?
Nicht so groß, wie viele von uns denken. Denn bei aller Liebe zum Klavier sollten wir uns auch nicht einreden, dass das deutsche Boxen mal von Gott weiß, welchem Rang und Namen in der Welt war. Der einzige deutsche Boxer, der jemals raus in die Welt zog und wahrhaft international auf dem höchsten Level seiner Zeit kämpfte, hieß Max Schmeling! Schmeling ist überdies der einzige deutsche Boxer, der auch international unumstritten als einer der besten seiner Zeit wahrgenommen wird. Sven Ottke hingegen galt in der internationalen Box Community immer als Paper Champ – Weltmeister auf dem Papier – der mehr als einmal von fragwürdigen Entscheidungen profitiert hatte. Und Henry Maske, der Säulenheilige im deutschen Boxen der 90er, kam auch viel zu selten aus seiner Komfortzone (bzw. aus Sauerlands Komfortzone) heraus. Jorge Castro, Montell Griffin, Dariusz Michalczewski, Jeff Harding, Dennis Andries und vor allem natürlich Roy Jones Jr. – alles starke Halbschwergewichte aus Maskes Ära, gegen die er nie geboxt hat.
Schon damals hat man das gesehen, was heute so auf die Spitze getrieben wird. Nur war die Vorsicht der Promoter damals noch wirtschaftlich nachvollziehbar, denn es ging tatsächlich um sehr viel Geld. Heute ist derartiges Taktieren vor nicht mal 2.000 Zuschauern, bei marginalen Einschaltquoten und eingedenk transparenter Kampfbilanzen (Boxrec lässt grüßen) einfach nur noch lächerlich.